Tschaikowsky by Korff Malte
Autor:Korff, Malte [Korff, Malte]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: dtv Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München
veröffentlicht: 2015-05-01T16:00:00+00:00
ZUNEHMENDE PRODUKTIVITÄT (1885–1888/89)
Im Jahr 1885 fasst Tschaikowsky den Entschluss, das Nomadenleben zu beenden und sich in Maidanowo bei Klin unweit Moskaus niederzulassen. Bereits am 14. Februar trifft er dort ein. Das Haus, das er gemietet hat, liegt auf einer Anhöhe in der Nähe eines Flusses, und dahinter befindet sich ein großer Park mit alten Bäumen. Der Tagesablauf ist nun streng geregelt: Von halb zehn Uhr bis um eins und nachmittags zwischen fünf und sieben Uhr komponiert er, und dazwischen, auf stundenlangen Spaziergängen, sinnt er über das zu Schaffende nach. Mit der Sicherheit des Heims als Zufluchtsort überwindet Tschaikowsky auch die Menschenscheu und nimmt künftig mehr am Moskauer Musikleben teil. Der Komponist wird in das Direktorium der Moskauer Abteilung der Russischen Musikalischen Gesellschaft gewählt und zum Ehrenmitglied des Konservatoriums ernannt. Zudem ist er wieder bei den Prüfungen anwesend und beteiligt sich an den Diskussionen über die Organisation des Studienbetriebs. Darüber hinaus setzt er sich dafür ein, dass sein früherer Schüler Tanejew, ein integrer Mensch und zudem ein hervorragender Musiker, zum neuen Direktor nominiert wird. Als Pianist hat Tanejew einige Werke von ihm uraufgeführt, darunter das Zweite Klavierkonzert. Und schließlich regt Tschaikowsky an, prominente Künstler nach Moskau einzuladen, um das Interesse der Moskauer Musikfreunde zu wecken. Interpreten, die er engagiert, sind zum Beispiel Antonín Dvořák oder der französische Dirigent Edouard Colonne, der mit Werken von Gounod, Lalo und Camille Saint-Saëns gastiert.
Zu den wenigen Freunden, die Tschaikowsky nach Maidanowo einlädt, gehören Nikolaj Kaschkin und Tanejew. Kaschkin, der ihn Ostern 1885 besucht, erinnert sich: »Es war noch mehr Winter als Frühling, obwohl der Schnee bereits zu tauen begann und wir auf unserem Weg in Wasserlöcher einzusinken drohten. Für unsere abendlichen Lesungen hatten wir unter anderem eine neue Erzählung von Anton Tschechow aus der ›Nowoje Wremja‹ (Neue Zeit) gewählt. Wenn ich nicht irre, wurde diese Erzählung gleich zwei Mal hintereinander vorgelesen, denn sie gefiel uns beiden ganz außerordentlich. Peter Iljitsch konnte sich solange nicht beruhigen, bis er an Tschechow einen Brief geschrieben hatte … Wir waren auch in der österlichen Frühmesse in der Kirche in Maidanowo. Am Morgen besuchte uns der Kirchendiener und gegen Mittag kam aus dem jenseits von Klin gelegenen Dorf Tanejew herüber, der sich unserem Spaziergang anschloss. Peter Iljitsch war in die Bauernkinder förmlich vernarrt und verwöhnte sie mit den verschiedensten Gaben, hauptsächlich mit kleinen Münzen.« Doch nicht nur daran wird deutlich, wie intensiv Tschaikowsky am Leben seiner Mitmenschen teilnimmt. Auf den Spaziergängen, die ihn in die Nähe des Orts führen, beobachtet er die Landbevölkerung – und ist bestürzt: »Die Bauernhütten im hiesigen Dorf sind ganz armselig, klein und dunkel. Die nächste Schule liegt sechs Werst entfernt. Es jammert einen, die Kinder zu sehen, die dazu verurteilt sind, materiell und geistig zu verkümmern.« Daraufhin spricht er mit dem Priester von Maidanowo und bietet die Einrichtung einer Schule an, für deren Unterhalt er die jährlich notwendige Summe spenden will. Bereits Anfang 1886 findet die erste Unterrichtsstunde in dem neu hergerichteten Wächterhäuschen des Dorfes statt, und auch der Komponist ist anwesend.
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